6.3.21

"Kunden, die Nachthemden und Tischeimerchen kaufen, kaufen auch Bratpfannen und Heftzwecken. Oder Reisetaschen, Büstenhalter, Feinstrumpfhosen, Kabel. Oder Glühbirnen. Das klitzekleine Kaufhaus Gassmann, nicht mal ein Viertel so groß wie eine kleine Karstadt- Etage, ist längst kein Geheimtipp mehr, seit sich rumgesprochen hat, dass das Kaufhaus in Neviges alles hat. Wer zwei Gabeln, einen Bogen Plakatkarton, ein Weinglas oder eine Leiter, Vogelfutter, Herrenkniestrümpfe, Bewerbungsmappen oder Schuhcreme braucht, findet das. Es gibt zwei Kassen. Gegenüber eine Gondel-ansammlung mit aktuellen Sachen, zum Beispiel Karnevalskrempel oder Weihnachtsschmuck, und im Eingangsbereich Arztromane, Liebesromane und Teelichter. Vor dem Laden stehen die Dinge, die jeder irgendwann mal gekauft hat, jedoch nicht mehr findet. Paketkordel zum Beispiel oder Luftschlangen. Getrickst wird nicht oder so, dass man es nicht merkt. Keine Musik, keine Durchsagen, keine billigen Sachen in Bodennähe und teure im Griffbereich. Keine Kinderquengelartikel vor der Kasse (die Spielsachen, Stifte, Hefte, Kinder- bücher sind ganz hinten im Laden) und keine Sachen ohne lesbare Preisangabe. Sonderangebote heißen Sonderangebote und nicht »Sale«. Und man kann sich darauf verlassen, dass Sonderangebote vorher mal teurer waren. Gut so. Gut auch: Das Personal ist hilfsbereit. Wer etwas nicht findet, wird nicht irgendwo hingeschickt, sondern begleitet. Wenn nix los ist in Neviges, also immer außer donnerstags, am Markttag, oder wenn es regnet, gehen viele Einwohner in den Laden. Nicht zum Einkaufen, sondern zum Gucken. Irgendwas, das stellt sich schnell heraus, braucht man immer. Man weiß es aber erst, wenn man im Laden ist. – Wenn man Glück hat, trifft man die Arbeitskollegin aus Wuppertal samstags bei der Wolle. Und ihren Mann, der zwei linke Hände hat, mit der RAL-Farbkarte in der Hand vor den Lackröllchen. Die kommen nach Neviges, weil es solche Läden in Wuppertal nicht mehr gibt. (Das Wuppertaler Schauspielhaus ist übrigens auch dicht, und das Opernhaus – kein Witz – hat kein eigenes Ensemble mehr.) 

Besonders beliebt ist der Laden bei den Düsseldorferinnen, die bekanntlich das Shoppen und Geldausgeben erfunden haben. Die kommen, weil sie für den Preis einer guten Damenhandtasche auf der Kö bei Gassmann die komplette Frotteeabteilung einschließlich aller Waschlappen kaufen können."
Norbert Molitor, Im Kaff der guten Hoffnung, 2016, Piper Verlag