7.1.23

Die bekannteste Tapete der Stadt wird 20. Kaum zu glauben, was Frau Melliwa, die bekannteste Reporterin der Stadt, heute auf Waz+ veröffentlicht hat. Hier ein Link zu ihrem Text (und ein wunderschönes Foto von Christof Köpsel). Es gibt sie also noch: Einzelhändler, die dem Dorf die Treue halten, regelmäßig aufhaben, immer freundlich sind und deshalb geliebt und verehrt werden. Herzlichen Glückwunsch.

"Herr Maier ́s (mit Apostroph) verkauft Schuhe im ehemaligen Schleckerladen. Der Laden ist riesig. Sein Vermieter, der erste Vorsitzende der Werbegemeinschaft, hat es geschafft, ihn nach fünf Jahren Leerstand in seinen Laden zu locken, was bei anderen Vermietern nicht gut ankam, weil Herr Maier drei Läden verlassen hat, die den Leerstand im Dorf vergrößerten.
Das Angebot ist modisch. Nicht teuer, nicht billig, immer mit Luft nach unten, weil Schuhe, die nicht laufen, sofort zu reduzierten Preisen angeboten werden. Herr Maier hat deshalb, so munkelt man, eine Druckerpresse im Keller, die nur SALE und Prozentzeichen in HKS 13 drucken kann. In seiner Freizeit bläst Herr Maier rote Luftballons auf.
Herr Maier ist der erfolgreichste Einzelhändler im Kaff. Er verkauft keine rahmengenähte Budapester aus England oder Italien (die würde er nie los), sondern zusammengeklebte Schuhe hipper Hersteller, die man auch in Ratingen, Köln, Seevetal oder im Internet für den selben Betrag kaufen kann. Sie halten natürlich keine 20 Jahre wie teure Schuhe mit Brandsohlen – sollen sie auch nicht. Hauptsache modisch. Und nicht zu teuer. 90 Prozent der Kunden sind Kundinnen.
Wer am Monatsende kein Geld hat, kann ein Paar Schuhe bis zum Ersten zurücklegen lassen, und wer sich nicht entscheiden kann, oder die Schuhgröße eines Familienmitgliedes nicht sicher kennt, nimmt eine Auswahl verschiedener Modelle mit nach Hause.
Vor dem Laden stehen die Prozente-Gondeln mit den roten Luftballons: Oben ist günstig, unten ist billig, ganz unten ist sehr billig. Viele Kundinnen krabbeln lieber die Angebote ab, als zu viel zu bezahlen.
Hinten im Laden die schönen Modelle – die später vielleicht mal in die Krabbelabteilung wandern. Knallrotes Sofa, flauschiger Teppich, angenehme Beleuchtung, gute Warenpräsentation in Greifhöhe, gute Schuhe. Ein passender Schuster mit Ausputzmaschine, Doppelmaschine und Nähmaschine mit Fußantrieb gibts ein paar Häuser weiter. Bei manchen Schuhen würde sich eine Reparatur lohnen.
Herr Maier ist Vorbild. Seine eigenen Schuhe kann man im Laden kaufen, was gut fürs Geschäft ist. Seine Klamotten kann man im Dorf nicht kaufen. Sein klitzekleiner Dackel stammt, wie jeder zweite Hund in Neviges vermutlich aus Rumänien. Es gibt ältere Damen, die ein Maier-Exemplar im Tierheim suchen – und finden. Im Dorf gibt es mehr Kleinhunde als Kleinkinder." 
(Norbert Molitor, Im Kaff der guten Hoffnung, Piper Verlag, 2016)