23.4.23


Still ruht der Teich. Ein paar Gänse, ein paar Enten, ein paar Schildkröten, ein paar Leute, kaum Kinder (die sind alle im Freibad) ein paar Fische, ein paar Bänke, eine Tischtennisplatte aus Beton, der ideale Platz für den „Feuerschalengrill“ von Manufactum, und ein Buffett in der freien Natur. Im Hintergrund die S9 von und nach Wuppertal, die man kaum wahrnimmt, und daneben Schloss Dauerbaustelle. Wer hier grillt, grillt vegan oder anders als Oma und Opa, also gesund und geschmacksfrei, liest die TAZ, nicht die FAZ, und füttert keine Tiere, wie die anderen,die regelmäßig ihre Brot- und Brötchenreste hier entsorgen.

Keine Musik, kein Mann am Grill, der putzt den Salat, kein fertiger Kartoffelsalat aus dem Kaufpark, kein Bier, kein Käse, keine Cola, kein Baguette, aber Pitabrot, Riffelsteaklettes aus Kartoffeln, Hirsesalat mit Kichererbsen – und für das Kind: Bohnenburger. Tischdecke aus Stoff, Besteck aus Metall, Gläser aus Glas und Tassen aus Steinzeug. Kein Plastik, kein Müll (der wird mitgenommen) kein Handy, und wenn doch, ein altes Klappgerät von Nokia oder Samsung, Salat in der Klangschale, Brot im Bastkörbchen, Schuhe aus Stoff, Taschen aus Jute, Sonnenbrillen aus Altersheimbeständen, und gegessen wird – immer noch – im Schneidersitz. Neben der Bank.

Auf der anderen Seite des Wassers, Senf aus der Tube, Kartoffelsalat mit Ei und Gürkchen auf Pappteller, Bier vom Fass in Gläsern aus Plastik – und Bundesliga live auf WDR 2. Der Mann grillt, die Frau isst Krautsalat, und das Kind wischt sein Telefon. Etwas lauter hier, wegen der S9 hinter dem Gebüsch, die sonn- und feiertags alle 15 Minuten vorbeirattert, aber nicht schlechter als drüben bei den Veganern, die etwas unglücklich in ihre falsche Bratwurst beißen und wie alle Veganer einen leicht verknispelten Eindruck machen. Hier am Gleis, das merkt man, sind echte Nevigeser zugange. Angeln, eigentlich verboten, die WAZ und den Stadtanzeiger durchblättern, nach 400 Eurojobs suchen, und nach der Bratwurst: Nackenkoteletts. „Bloß nicht ins Callcenter“, sagt die Frau, „keine Hemden und keine Kneipe“. Wird schwierig, ist aber heute egal.

Der Markt für Menschen ohne Ausbildung ist seit Einführung des Mindestlohnes noch mieser geworden. Die Jobs, vorher schon knapp im Kaff, sind noch knapper und haben sich verändert. Längere Einarbeitungszeiten ohne Bezahlung, weniger Haushalt ohne Steuerkarte, kein Trinkgeld mehr, denn das, was reinkommt, geht neuerdings oft an den Chef, und immer wieder: Bewerbungstraining in Velbert Mitte oder bei EDB (Erfolg durch Bildung). „Darf ich zu den Enten?“, fragt das Kind, „mein Akku ist leer“, und der Mann sagt: „Frag die Mama“. 
Norbert Molitor: Im Kaff der guten Hoffnung (2016)