29.9.20

Vor der Gemeindereform war Neviges keine arme Stadt. Eigene Stadthalle, ein begehbares Schloss, der kurz vorher fertiggestellte Mariendom, eigenes Rathaus, eigene Postbehörde, eigenes Kino (oder waren es zwei?), viele Kneipen, eigener Bürgermeister, mehr Frisöre als heute,  eigenes Krankenhaus, blühender Einzelhandel und eine funktionierende Wallfahrt, die viel Geld ins Dorf brachte. Der Bahnhof war gemütlicher, die Kirchen voller und das Fernsehprogramm besser. Samstags nach dem Baden in der Waschschüssel (erst kamen die Jungs rein, dann die Mädchen) gabs Kartoffelsalat mit Würstchen, dann kam Kulenkampff mit seiner Uschi.
Eine Besonderheit hat die Jahrzehnte überdauert: Früher fuhr die Straßenbahn durch die Fußgängerzone. Heute Mercedesse, BMWes und Audis.

28.9.20

Herzlich willkommen in Neviges Mitte, wir sind ein Pilgerort und kein Einkaufsparadies, bringen Sie bitte alles mit, um Ihnen den Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich zu machen: Hämmer, Zangen, Sägen, Zeichenblöcke, Wolle, Nägel, Glühbirnen, Bleistifte, Unterhosen, Bügeleisen, Pfannen, Blockflöten, Besen, Küchenuhren, Klobürsten, Stricknaden, Handmixer, Waschmaschinen und Lüsterklemmen, denn bei uns können Sie diese Sachen nur im Internet kaufen, wenn das Wlan rund läuft, was nicht unbedingt selbstverständlich ist.

Apropos Zeichenblöcke. Der Autor dieses Gejammers braucht einen (A3 / 120 Gramm), ein Radiergummi, mehrere Filzstifte (Fineliner und fette), Glühbirnen (Reflektor) und Minen für seinen Druckbleistift.

Neviges hat anders gewählt als Velbert Mitte, Langenberg hat auch anders gewählt als Velbert Mitte. Bald toben sich die Wahlanalysten und Immerrschonallesbesserwisser bei Facebook aus, dann fällt die Unterstützergruppe irgendwann auseinander und dann bleibt vermutlich alles wie gehabt. 230 Stimmen, postete gestern Abend eine Wählerin, Ich brech ins Glas.

27.9.20

Ein Paukenschlag, ein Krimi: Frau Dr. Kanschat hat die Wahl knapp, sehr knapp verloren. Herr Lukrafka bleibt Bürgermeister in Velbert. Hier das vorläufige Ergebnis: Lukrafka 50,45 Prozent, Kanschat 49,55 Prozent, Wahlbeteiligung 35,44 Prozent. 

Die erste Neuerung der Franzosen war das Wort Gottes von der Kanzel hoch über den den Köpfen der Gemeinde. Gabs vermutlich noch nie (und wenn, vor vielen, vielen Jahren), wird man sich aber dran gewöhnen. Nur wenige Besucher, wegen Corona, immerhin zwei Promis in der ersten Reihe, und alles sehr feierlich. Charmante Predigt mit französischem Akzent, feine Orgelmusik und Gesang. – Ein Video der Messe gibts bei Facebook und Youtube. – Bildschirmfoto (wie immer auf diesem Blog schwarzweiß): Feierliche Einführung der Gemeinschaft Sankt Martin in Neviges.

Die kürzeste Öffnungszeit in Neviges hat Jürgen Heringhaus: Sonntags von 14 bis 17 Uhr, wenn er nicht in Dänemark ist. Neben allerlei Devotionalien für Katholiken, gibts auch Musik und Filme. Besonders begehrt bei Sammlern sind seine Heiligenbildchen, Papstabbildungen, und wenn man Glück hat, findet man eine gerahmte Reproduktion des Gnadenbildes aus dem 17. Jahrhundert, das 2016 im Mariendom geklaut und am nächsten Tag in Butterbrotpapier eingewickelt an der Klosterpforte eingeworfen wurde. – Elberfelder Straße.


 

26.9.20

Irgendjemand hat immer was zu meckern. Und wenn das so weiter geht mit den beiden Lieblingsvereinen der Nevigeser (zuzüglich Bayern), wechseln die Knochen-Harten in den Sky bereitstellenden Kneipen noch zu Arte-TV und verschenken ihre Trainings–Anzüge und Fähnchen. Das Gejammer, hört man, hält keine heftig liebende Fußballerguckerfrau auf Dauer durch.

Edit: Auch Bayern hat verloren: 0:4 (!!) gegen Hoffenheim. 

 

Es war einmal ein berühmter Designer, der die Schönen und Reichen mit Kaschmir und feinsten Lederwaren verkleidete. Jetzt ist er mit einem 20 Jahre alten Foto bei Lidl in Neviges gelandet und spielt den billigen Jakob. Ab Montag hinter der Tanke. Und noch was: Giovanni Trapattoni ist Markenbotschafter bei Netto. Sein berühmter Satz Ich habe fertig ist eine 1:1-Übersetzung von Ho finito!, was in Italien so viel bedeutet wie Ich bin fertig.


Wer in Neviges einen trinken geht, bekommt immer Gratisgedudel dazu. Mit etwas Glück ist das Radio kaputt, nur dann wird es noch schlimmer: Der Fernseher wird eingeschaltet. Türkische Liga, griechische Liga, Bayern, Schalke, Dortmund, Britney Spears mit Zöpfen, und bauchfrei, junge Sprechgesangstatisten mit Mercedes, Rolex, stapelweise Dollars und haufenweise Popowackelfrauen. Nie, auch komisch, Nachrichten, aber dafür ist das Bier günstig und man muss nicht viel reden. Wie gehts? Alles klar? reicht. 

Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm das will. Wann? Dienstag. Von 3 in der Nacht (fahren da überhaupt Busse in Neviges?) bis Mittwoch um 3. Sonst nix los nächste Woche. Wetter geht so, die Kneipen sind leer (sind immer leer vor dem Ersten), und vom Gejammer über den Leerstand in Neviges Mitte will keiner mehr was lesen oder hören. Wozu hat man denn einen Suv?

25.9.20

Bei Abellio läuft längst nicht alles rund. Der Betreiber der S9 steckt offenbar in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, so das Handelsblatt und andere Zeitungen. Es wird berichtet, dass die holländische Mutter einspringen muss. Abellio weist Spekulationen zurück, kurz vor der Pleite zu stehen, bestreitet allerdings nicht die Situation. Man stehe in intensiven Gesprächen mit den Ländern, um die Verkehrsverträge nachzuverhandeln.


 
Letzter Auftritt auf dem Nevigeser Wochenmarkt kurz vor der Stichwahl. Beide Kandidaten sportlich-flott gekleidet, sie hell, er gerippt, und Musik gab es auch. Frau Kanschat hatte kleine Vollmilch-Schokoladentafeln in der Tasche, Herr Lukrafka hatte kleine Notizblöcke in der Tüte. Sonntag um 20 Uhr steht das Ergebnis fest. Die Musik war italienisch (beliebtestes Lied: Marina von Rocco Granata), die Musikanten waren aus Bulgarien. 

24.9.20

Überall, stand 2015 auf diesem Blog,  blühen die Narzissen, in Neviges blühen die Gelben Säcke. Vorbei. Bald vorbei: Ab Januar gibts die Gelbe Tonne für alle Nevigeser Haushalte. Auch für die Leute am Kirchplatz, die teilweise nicht mal die blaue haben. Ja, der Fortschritt ist nicht aufzuhalten.

Toll, dass man als Deutsche mit Italienhintergrund in dieser Woche zweimal wählen durfe. Erst Frau Dr. Kanschat oder Herrn Lukrafka, dann auch noch die Verkleinerung des italienischen Parlamentes (inzwischen steht das Ergebnis fest), da muss man ganz schön auf dem Laufenden sein, um die richtigen Wahlen zu treffen. Anna (Foto) kann seit Ende 2018 einige Fragen zu ihrer neuen Heimat besser beantworten als einige Alt-Nevigeser, zum Beispiel die Anzahl (und die Namen) der Bundesländer nennen, den Unterschied zwischen Bundesrat und Bundestag erklären, kennt die protokollarische Rangordnung im Staat und weiß, was ein Überhangmandat ist. Sie musste das alles lernen um den Einbürgerungstest zu bestehen. Die Urkunde hängt im Flur neben der italienischen Fahne.

Natürlich leidet sie darunter, ihren geplanten Italienurlaub in Neviges zu verbringen, aber es gibt Musik, Kunst, Pasta, Fanta und Espresso, wie in ihrer Heimat. Und italienisch sprechen, kann sie inzwischen auch mit ihrem Mann, der nicht mal die Hälfte versteht, wenn überhaupt, man kann auch sagen: sehr, sehr wenig oder fast nix. Sein Lieblingswort ist übrigens portacenere, seine italieniche Brieffreundin heißt Ada; die beiden schreiben sich jeden Tag, morgens und abends.



Schöner Thekentext (Aus der Region …), schöner Mann, schöne Fische, schöner Wochenmarkt, der schönste in Niederberg, und sonst? Nix. Etwas Wahlkampf noch, vielleicht sind die beiden übrig gebliebenen Kandidaten heute persönlich in Neviges (die eine muss immer arbeiten donnerstags, der andere kann sich frei nehmen, wann er will und so oft er will, und muss vermutlich nicht mal stempeln), und vielleicht gibts heute noch eine Überraschung, eine großartige Überraschung: Irgendein Minister wird sich doch auftreiben lassen, oder? – Abwarten.

Edit: Egal wer gewinnt, ab Montag wird wieder gearbeitet im Rathaus. Es gibt viel zu tun (8 Wochen Wartezeit auf einen Termin zur Beantragung eines Ausweises ...) und sind wir mal ehrlich, sooo schön war der Wahlkampf auch nicht. Es reicht jetzt.

Svenja Meier von der SZ (nicht zu verwechseln mit der WZ) hat ein tolles Interview mit dem in Neviges und anderswo verehrten großartigen Baumeister Gottfried Böhm geführt, angeblich sein letztes, aber warten wir mal  ab. Böhm, inzwischen 100 Jahre alt, hat den Mariendom in Neviges gebaut. Seitdem ist das Kaff zwischen Wuppertal und Essen weltberühmt. Früher sagten die Nevigeser im Urlaub auf die Frage an der Bar, wo sie denn herkommen, schon mal Wuppertal oder Düsseldorf, Böhm hat das geändert. Neviges kennt inzwischen jeder. Hier der Link zum Interview, übrigens ohne Bezahlgedöns.

23.9.20

Wer soll das denn vom Auto aus oder von der anderen Straßenseite alles lesen, Frau Doktor? Lieb gemeint und sicher interessant, aber (auch lieb gemeint): In der Kürze liegt die Würze. Ein „Ich habe Euch alle lieb“ hätte gereicht, weil der Dirk immer Sachen wie „Ich habe mich liebt“ raushaut. Die Leute in Neviges, jahrzehntelang im Stich gelassen von der Obrigkeit, wollen Liebe, echte Liebe, funktionierendes Wlan, ein saniertes Schloss, Bänke und Bäume in der Fuzo, ein Warenhaus (schon mal versucht, einen Nagel oder einen Zeichenblock oder einen Seitenschneider im Dorf zu kaufen?) und nicht länger auf Wunder warten.

Auch eine Ansichtskarte vom Cdu-Opa mit Enkel Dirk heute im Briefkasten? Viele Nevigeser wundern sich, woher der beliebteste Politiker (immer noch) die Adressen von potentiellen Wählern seines beliebten Nachfolgers herhat. Kann jeder auf die städtische Datenbank zugreifen? Oder was ist da los? – Foto: Archiv.

 

Am 5.Oktober findet im Nevigeser Stadtteiltreff in diesem Jahr zum letzten mal der beliebte Awo-Smartphone-Kurs statt. Beginn ist jeweils um 9 Uhr 30. Geht dreimal über 3 Stunden, man lernt alles, was man als Anfänger oder Fortgeschrittener braucht, und es macht (toller, geduldsamer Lehrer mit viel Erfahrung) auch noch Spaß. Benötigt wird das aufgeladene, eigene Gerät (Hersteller egal) und eine Anmeldung unter 02053 7312. – Fuzo neben Gassmann.

22.9.20

Gerade jetzt, wo die Sonne so tief steht, ist es am späten Nachmittag im Nevigeser Mariendom besonders schön. Der schlichte Altar, ein Meisterwerk des weltberühmten Architekten, strahlt wie ein Diamant in den vielen Farben des Rosenfensters im sonst eher dunklen Inneren des Gebäudes, das Neviges (und Gottdried Böhm) weltberühmt gemacht hat. Täglich geöffnet bis 18 Uhr, Eintritt nix (ein Opferstock steht am Ausgang), und noch eine Empfehlung: Die Via Sacra mit den vielen Bäumen, die sich kurz vor dem Dom zu einem grünen Himmel verdichten, bevor sie im Winter den Platz in einen großartigen Skulpturenpark verwandeln. Anreiseempfehlung: S9 (inzwischen pünktlich). Vorbereitung:  Die Wallfahrtskirche in Neviges von Karl Kiem mit vielen Fotos und Zeichnungen. Hinweis: Man muss sich durch mehrere Seiten klicken, aber es lohnt sich.